Stadt Neresheim

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Der Gesang der Bäume

Vor langer Zeit war es so, dass nicht nur die Menschen sprechen und singen konnten. Auch die Tiere konnten das – und sogar die Bäume. Die Sonne liebte den Gesang der Bäume, doch machten sie es ihr nicht gerade leicht: Als die Sonne den Bäumen ihre Blätter zugeteilt hatte, waren sie alle zufrieden gewesen mit dem was sie bekommen hatten. Die Linde mit ihrem herzförmigen Blatt, der Ahorn mit seinem tief gekerbten, die Kastanie, die Weide und auch die Nadelbäume mit ihren feinen, spitzen Nadeln. Doch nach einiger Zeit waren der Fichte, der Tanne und der Kiefer ihre Nadeln nicht mehr gut genug. „Wir mögen diese feinen, spitzen Blätter nicht mehr. Wir wollen neue! Gib uns Blätter, wie sie kein anderer Baum hat!“ Die Sonne erfüllte ihnen den Wunsch und gab ihnen Blätter aus reiner Seide. Wie sanft drang das Licht hindurch und wie anmutig bewegten sie sich im Wind! Die Nadelbäume waren sehr stolz auf ihr seidenes Blätterkleid. Doch dann fiel der erste Regen und die Seidenblätter hingen schlaff und aufgeweicht von den Zweigen. „Der Regen hat unsere Blätter verdorben! Gib uns bessere!“ Da gab die Sonne ihnen Blätter aus Kristall. Wir funkelten die im Licht und wie hell klangen sie, wenn der Wind hindurch strich! Doch dann kam ein Sturm auf und brach die kristallenen Blätter von den Zweigen. Wie Hagelkörner lagen die Splitter am Boden. „Was hast du uns da nur für Blätter gegeben! Gib uns neue!“ Da hatte die Sonne genug und gab den Unzufriedenen die Nadeln zurück, die sie schon immer gehabt hatten. Nur eines gestand sie ihnen zu: Sie durften ihre grünen Nadeln auch im Winter behalten. Aber damit sie sich nicht mehr beklagen konnten, nahm sie ihnen die Sprache – der Fichte, der Tanne, der Kiefer und all den anderen Bäumen. Wenn der Wind durch die Wipfel streicht, klingt das zarte Rauschen der Blätter fast noch wie Gesang. Und dann erinnern sich die Bäume an ihre Lieder und wiegen ihre Äste sanft im Takt.

Quelle:
Zigeunermärchen aus Ungarn

Jan Vladislav „Warum die Bäume nicht mehr sprechen können“ Hanau 1992